Und? Was fällt Euch als erstes ein, wenn Ihr an Esel denkt? Stur? Ich will jetzt nicht behaupten, dass das nicht stimmt. Esel laufen – anders als Pferde – nicht einfach hinter dem Leittier her. Sie haben ihren eigenen Kopf und da braucht es manchmal schon ein wenig Geduld. Dafür hat der Esel dann aber auch Geduld, wenn der Packsattel immer noch nicht richtig sitzt. Oder wenn Euer Kind die Arme um seinen Hals geschlungen hat und gar nicht mehr loslassen will. Dann kommt ihm noch eine andere Eigenschaft zugute. Esel sind – bei aller Dickköpfigkeit – sozial. Sie interessieren sich für ihre Menschen und sie kuscheln auch gerne mit ihnen.
Warum also nicht mit diesem langohrigen Weggefährten eine Woche in die Wildnis wandern? Es ist geradezu genial. Er trägt das Gepäckt. Er begeistert die Kinder. Er entschleunigt. Wir waren deshalb schon vier Mal so unterwegs und letztes Jahr sind wir dabei an den Ursprung unserer Eselbegeisterung zurück gekehrt: in den Vercors. Schon fünf Jahre zuvor waren wir hier eine Woche unterwegs. Damals war unsere jüngere Tochter drei Jahre, zu klein für eine Weitwanderung auf eigenen Beinen, zu groß für die Kraxe und genau richtig für den Ritt auf einem Esel.
Diesmal sind unsere Töchter zu groß zum Reiten und neben der wunderschönen Landschaft fällt unsere Wahl auch deshalb auf den Vercors. Einmal auf dem Hochplateau geht es zwar noch etwas auf und ab, aber man schnauft nicht morgens über tausend Höhenmeter rauf, nur um nachmittags wieder ebenso weit runter zu müssen.
Das erste Wegstück reisen wir und die Esel im Auto respektive Anhänger bis kurz vor die Nationalparkgrenze. Als wir am Colle de Rousset starten, ist es wenig sommerlich. Vor fünf Jahren sind wir hier mit den Kindern Wolkenfetzen hinterher gejagt und als wollte der Vercors alte Erinnerungen wach rufen, liegen die Wolken auch heute schwer auf den Wiesen. Unser Weg führt uns erst durch einen Buchenwald, der sich an den Hang schmiegt, als wäre auch ihm kalt.
Kurz vor der Grenze zum Nationalpark lichten sich die grauen Schleier, und geben den Blick frei auf Steilwände und einen Schwarm kreisender Gänsegeier, der in den Wolken ein und aus schwebt.
Einige Stunden später schlagen wir unser Zelt bei strahlendem Sonnenschein auf einem ebenen Fleck auf, von dem sich herrliche Weit- und schwindelerregende Tiefblicke bieten.
Unsere Arbeitsteilung ist schon eingespielt: die Kinder striegeln die Esel und sammeln ihnen besonders saftige Kräuter, mein Mann kocht und ich fotografiere.
Am nächsten Tag geht es über den breitesten Teil des Plateaus. Außer Murmeltieren begegnen wir niemanden. Obwohl wir im Sommer unterwegs sind, sehen wir in den sieben Tagen überhaupt nur wenige Menschen. Zwar führt ein GR durch den Vercors, aber in der weiten Landschaft trifft man sich vor allem an den Wasserstellen oder Biwakhütten.
Die Landschaft ist karstig, hier gibt es kaum Bäche und nur wenige Quellen, von denen in diesem heißen Sommer zudem die meisten versiegt sind. Gut, dass Christian (der Vermieter der Esel) weiß, an welchen wir noch Wasser finden. Aber erst morgen Abend werden wir eine davon erreichen - so dass einer unserer beiden Esel mehrere Kanister Wasser trägt.
Heute schlafen wir bei einer Alm. Hier bedeutet das Schafe statt Kühe. Die Alm ist verschlossen, die Herde nicht da, nur ein einzelnes Tier schaut vorbei, ein wenig unsicher, ob es sich über unsere Gesellschaft freuen, oder Angst vor uns haben soll. Es ist nur der erste von drei Besucher. Wenig später gesellt sich ein neugieriger Bartgeier zu uns. Ungewöhnlich tief fliegt er heran und zieht über uns seine Kreise, während wir ihn bestaunen. Und auch bei einem jungen Steinbock siegt die Neugier über die Scheu, bis auf wenige Meter kommt er an mich heran, als ich wieder einmal mit der Kamera umher streife.
Steinböcke treffe ich auch, als ich anderntags zum Sonnenaufgang alleine (nein, die Esel kann man nicht mit da rauf nehmen) auf den höchsten Gipfel des Vercors – den Grand Veymont steige. Der Anstieg ist nicht zu unterschätzen, 800 Höhenmeter liegen zwischen unserem Zelt und dem Gipfel – aber ich werde reich belohnt.
Wie eine schäumende Welle im Augenblick vor dem Überschlagen läuft der Grad des Vercors unter mir in die sanften Wogen der Ebene.
All die Wege, die wir gegangen sind und noch gehen werden liegen vor mir ausgebreitet.
An der Quelle beim Mont Aiguille können wir problemlos unsere Wasservorräte auffüllen. Heute sind wir spät dran. So können wir noch vor dem Abendessen und nur wenige Schritte vom Zelt beobachten, wie die scheidende Sonne hinter der markanten Felssäule die Alpengipfel erglühen lässt.
Doch der Vercors kann nicht nur trocken und karg oder steil und dramatisch. Auf den tieferen Ebenen wächst wilder Wald. Er hat sich die karstigen Felsen zu Eigen gemacht. Hat die blank liegenden Knochen der Erde mit Leben überzogen
Wir steigen mit den Eseln über umgestürzte Baumstämme, sie folgen uns vertrauensvoll. Zum Dank sammeln wir ihnen die Blätter des gelben Enzians, die sie besonders lieben.
Richtig wehmütig werden wir, als es nach einer Woche heißt, Abschied zu nehmen. Sie sind uns ans Herz gewachsen, schon wird überlegt, ob wir sie nicht – angebunden an unser Auto – mit nach Hause nehmen könnten. Eine Nacht können wir noch in ihrer Nähe verbringen, denn Christian hat neben der Eselkoppel Zelte, eine Feuerstelle, einen Unterstand mit Bänken und – ein „Waldklo“. Genau der richtige Ort, um nach einer solchen Wanderung wieder in der Zivilisation anzukommen.
Wer Lust hat, es uns nachzumachen: Der Vercors liegt im Westen der französischen Alpen, südlich von Grenoble. Dort befindet sich das größte Naturschutzgebiet Frankreichs. Zentral darin, das `Hauts Plateaux´.
Wer Pfingsten kommt – vor dem Auftrieb der Schafe – erlebt eine unvergleichliche Blütenpracht aber auch unbeständiges Wetter. Im Sommer sind die Blumen in den Schafsmägen verschwunden und die Wasserversorgung gestaltet sich schwieriger.
Es gibt mehrere Anbieter für Eselwanderungen im Vercors. Wir waren jetzt zwei Mal mit den Eseln von Christian unterwegs. Er bietet auch geführte Eselwanderungen und - sollte man nicht im eigenen Zelt schlafen wollen - er organisiert auf Wunsch Unterkünfte: von der Gîte bis zum schon aufgebauten Zelt. Er kann auch ein wenig Deutsch - man muss ihm also nicht auf Französisch schreiben.
Es lohnt sich, mit seinen Kindern vorher ein wenig über Esel zu lernen. Wir haben aus der „Reihe mit der Eule: Entdecke die Esel“ gelesen – da lernt man auch gleich, wie die Langohren am liebsten geknuddelt werden.
Im Vercors kann man auch noch mehr Zeit verbringen und romantische Dörfer oder einzigartige Höhlen entdecken z.B. die Grotten von Choranche.
Und wer Lust auf noch mehr wilde Natur hat: Eine Wanderung im Vercors lässt sich gut mit einer Woche an der Ardèche verbinden. Dort kann man wunderbar Kajak fahren. Wir sind die 32km unter dem Felsbogen der Pont d'Arc hindruch und durch den Nationalpark an einem Tag gepaddelt, aber dafür ist die Strecke eingentlich viel zu schade. Unterwegs kann man an Biwakplätzen übernachten und der Fluss läd zum Baden ein. Also lieber zwei oder drei Tage für die Tour einplanen. Auch die berühmte Chauvet-Höhle mit prähistorischen Felsmalereien kann man nahe der Ardèche besuchen https://de.grottechauvet2ardeche.com/
